Mordreds Tales
© 2010 – 2024 Marcel Wolters







 

Spitze Zähne



Es war heiß. Die Sonne brannte unbarmherzig und der Wind geruhte, Siesta zu halten. Carl zog sich hastig seine Badehose über, als er seine Freundin Melissa, die wie immer schneller und schon im kühlen Nass war, kreischen hörte. Mel hatte wohl eine toten Qualle im Wasser gefunden. Carl kicherte leise und ging zum Wasser. Bleichen Gesichts setzte er sich hin, als er sah, was seinem Mädchen den Schrei entlockt hatte. Kurz nur. Dann nahm er Melissa bei der Hand, führte sie zu den Sachen und griff zu seinem Handy.

***


Henry Arsdon, Polizeichef von Bloodshed County, kannte Carl Valentine als ruhigen Jungen. Wenn ihn etwas so in Aufregung versetzte, wie es am Telefon schien, musste in der Tat Schlimmes geschehen sein. Carl hatte verhältnismäßig ruhig von einer Leiche im Wasser erzählt. Dennoch war die Aufregung offensichtlich.

Tom Blueheimer und Jerry MacAllister waren schon am Ort des Geschehens, als Henry ankam. Henry dienstälteste Mitarbeiter hatten ihrem Erfahrungsschatz entsprechend den Strand abgesperrt und die Leiche einer jungen Frau aus dem Wasser gezogen. Die einzigen Spuren, die zu sehen waren, waren die Spuren Carls und seiner Freundin, die Schuhabdrücke Toms und Jerrys und Abdrücke nackter Füße, die offenbar von der Toten hinterlassen wurden. Henry hatte die junge Frau bisher nie gesehen. Aber das hieß nichts. Sie konnte eine Touristin sein, die hinter alten Piratengeschichten her war. Sie könnte eine Besucherin gewesen sein, die nur dieses eine Mal herkommen wollte. Es war erschreckend, wie viele junge Frauen von außerhalb nach Bloodshed kamen, um nie wieder irgendwohin zu gehen.

Mandy Silverton, Coroner von Bloodshed County, war von Henry informiert worden. Sie traf beinahe zeitgleich mit dem Polizeichef ein. Mandy ließ sich kurz von Tom und Jerry erzählen, was sie wusste und sah sich dann die Leiche an. „Was meinst Du? So auf den ersten Blick”, ließ sich Henry vernehmen. Mandy zog die Augenbrauen hoch. „Sie ist völlig ausgeblutet.”

Ausgeblutet? Henry sah sich aufmerksam um. Er konnte partout keine Blutspuren entdecken. „Hör auf zu suchen!”, unterbrach ihn der Coroner. „Sie hat es im Wasser getan.” – „Hat was im Wasser getan?” Henry war verwirrt. Das alles ging ihm zu schnell. Dr. Silverton lenkte die Aufmerksamkeit des Polizeichefs auf den linken Unterarm der Toten. Am Handgelenk war ein tiefer Schnitt. „An den Fingern der rechten Hand sind kleinere Verletzungen”, ergänzte Mandy. „Sie hat mit rechts die Rasierklinge gehalten und sich an der linken Hand die Pulsader aufgeschnitten. Im Wasser. Selbstmord.”

Jerry kam im gleichen Augenblick mit einem Beweismittelsack voll Frauenkleidern. Also tatsächlich wieder eine dieser Einweg-Touristinnen. Fall abgeschlossen.

*


*


*


Mary wartete am Hinterausgang des „Cut Throat Club”. Sie fand es seltsam, dass fast jedes Etablissement hier einen Piratennamen trug. Aber es funktionierte. Tausende und Abertausende Touristen wollten jährlich irgendwelchen erlogenen Piratenlegenden nachjagen und brachten Geld in die Kassen von Bloodshed County. Aber es war kein Tourist, auf den sie wartete. Mary war jung, hübsch und wild, aber auf Touristen zu warten hatte sie nicht nötig. Es ging um einen Jungen, der vor ein paar Wochen hierher gezogen war. Er sah schnucklig aus. Ein bisschen Knutschen und Fummeln sollte schon drin sein.

Schlanke, kräftige Arme legten sich um Marys Schultern. Sie drehte sich um und sah dem Jungen aus dem Klub in die blauen Augen. „Dachte schon, Du kommst nicht mehr”, säuselte Mary. Der Junge lächelte und offenbarte lange, spitze Eckzähne …

Es dämmert, als Mary zu sich kam. Sie saß hinter dem „Cut Throat” auf dem Boden. Sie wusste, dass sie kurz nach zwei aus dem Klub gegangen war. Sie wusste, dass sie einiges getrunken hatte. Aber ab dem Augenblick, als sie den Klub verließ, war ihr Film gerissen. Mandy bemerkt einen leichten Schmerz am Hals. Sie betastete die Stelle, warf einen Blick in ihren Make-up-Spiegel. Zwei kleine rote Flecken waren zu sehen. Offenbar hatte sie dumm an irgendetwas gelehnt.

***


Maximilian lächelte seine Schwester an. „Hattest Du eine schöne Nacht, meine Liebe?” Elizabeth lächelte zurück. Sie strich sich eine Locke aus dem Gesicht und säuselte: „Er war ein Latino. Spielte den geheimnisvollen Piraten. Er war süß. Im wörtlichen Sinn.”

„Du hast ihn aber am Leben gelassen, oder?” Manchmal neigte Maximilians Schwester dazu, etwas unvorsichtig zu sein. Manchmal trank sie im Überschwang zu viel und ihre Beute starb. Es war nicht leicht, rechtzeitig von seinem Opfer abzulassen. Aber es musste sein. Zum Überleben war nicht viel nötig. Und wenn es sein musste, konnte man sich noch jemanden anders suchen. Aber jemanden zu töten stand in keinem Fall zur Diskussion. Darin waren sich beide einig.

Liz lächelte. „Keine Angst Brüderchen. Er ist putzmunter. Genauso wie seine Schwester.” Sie gähnte und rekelte sich im Türrahmen ihres Zimmers. „Und jetzt, mein Lieber, bin ich müde. Es ist anstrengend, alte Legenden aufrecht zu erhalten.” Elizabeth gab ihrem Bruder noch einen Kuss, schloss die Tür und legte sich ins Bett.

Maximilian dachte über Liz‘ Worte nach. Vampire ertragen Tageslicht nicht – sagen die Legenden. Also tritt der Vampir, der etwas auf sich hält, nur nachts auf. Zwar hielt er durchaus etwas auf sich, aber Maximilian war schon damals in London der Meinung, dass der Tag zu viele wichtige Informationen mit sich bringt, um ihn schlafend zu verbringen. Also verließ er die Villa wieder, die er mit seiner Schwester bezogen hatte.

***


Jazmin saß in der Ecke des „Treasure Island” Diners und nippte an ihrem Kaffee. Kaffee und Donuts – seit ein paar Wochen sah so jeden Tag ihr Frühstück aus. Jaz wusste, dass diese Art zu frühstücken sehr einseitig war. Aber sie liebte Donuts. Und jetzt, da sie wieder Single war, genoss sie es, durch die Staaten zu fahren und ungesund zu frühstücken.

Es war kein Urlaub. Jaz war hinter etwas her. Alte Legenden hatten sie schon als Kind fasziniert. Eine solche Legende führte hierher nach Bloodshed County. Jaz hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass die Piratenlegenden nur Lügen waren. Aber deshalb war sie nicht hier. Hominus nocturnis – der Vampir. Niemand glaubte daran. Und doch hatte Jaz eine Spur gefunden, die genau hierher führte. Sie hatte in der entsprechenden Literatur gestöbert, hatte abseits davon Legenden und Berichte studiert und hatte ihre eigene Meinung zum Thema. Es gab Vampire. Vampire tranken Blut. Aber sie waren nicht die mordlüsternen Monster, als die die Bücher sie beschreiben. Warum Vampire etwas gegen Kreuze oder Knoblauch haben sollten, war ihr – abgesehen vom Geruch des Knoblauchs – nicht klar. Müssten sie nicht auch vor Davidssternen oder dem Halbmond Angst haben? Es war nicht logisch.

Jazmin blickte auf, als sich die Tür öffnete. Ein seltsames Gefühl beschlich sie, als ein junger Mann eintrat. Schlimmer noch: Nachdem er sich kurz umgesehen hatte, kam er direkt auf sie zu. „Ist hier noch frei?”, fragte er mit leiser, tiefer Stimme. Jaz nickte. Sie wollte „Ja” sagen, aber etwas verschlug ihr die Sprache.

Der junge Mann winkte der Bedienung zu und bestellte eine Tasse Kaffee und Rührei. „Ich weiß, Eier mit Speck sind ungesund. Zu viel Fett”, sagte er lächelnd an Jaz gewandt. „Aber ich liebe so was zum Frühstück. Mein Name ist Max.” Er reichte Jazmin lächelnd die Hand. „Jazmin”, antwortete sie, „Jazmin Hart.” Sie senkte den Blick ein wenig. „Nennen Sie mich Jaz.”

„Freut mich, Sie kennenzulernen.” Max dankte der Bedienung für den Kaffee, nippte an der Tasse und fuhr fort: „Wohnen Sie schon lange in der Gegend?”

Jaz verneinte. „Ich bin nur Touristin. Gewissermaßen. Eigentlich bin ich hinter etwas her.” Max sah über seine Tasse. „Und … hinter wem?”, fragte er vorsichtig. Jazmin wiegelte ab. „Sie halten mich für verrückt, wenn ich es Ihnen sage.”

Schweigen. Beide nippten am Kaffee. „Wissen Sie”, nahm Max den Gesprächsfaden wieder auf, „hier hört man ständig verrücktes Zeug. Und oft stellt sich heraus, dass wenigstens eine Kleinigkeit daran wahr ist. Abgesehen natürlich von den Piratengeschichten, die hier erzählt werden. Die sind völliger Quatsch.”

Erneute Stille. „Vampire.” Diesmal war es Jazmin, die das Schweigen brach. „Vampire?”, Max schien beeindruckt. „Das höre ich zum ersten Mal.” Jaz lachte leise und verlegen. „Das heißt nicht”, versuchte Max, die Kurve zu kriegen, „dass ich Ihnen nicht glaube. Es ist nur etwas Neues.”

„Ich glaube, dass es Vampire gibt”, erklärte Jaz. „Es gibt sie, aber sie sind alles andere als böse. Sie mögen Blut trinken, um zu überleben, aber sie töten nicht. Wenn ich richtig liege, sollten wir uns bei den Vampiren entschuldigen für all die Lügen, die wir über sie verbreiten.”

Jaz‘ Gegenüber dachte kurz nach. „WENN Sie recht haben, sind diese Lügen den Vampiren vielleicht auch egal. Sie leben damit. Sie leben mit den Legenden, die es über sie gibt wie Menschen, die sich der Klischees bedienen, die es über sie gibt. Sie gehen nachts raus, arbeiten in dunklen Kneipen und ziehen auf diese Weise Leuten das Geld aus der Tasche, die einerseits gar nicht an Vampire glauben und sich andererseits cool finden, weil sie sich von angeblichen Vampiren bedienen lassen.”

Jazmin lachte. „Ja”, meinte sie, „ist die Gothic-Szene nicht dämlich?”

***


Jaz schlenderte durch die Stadt. In Kleinstädten gab es nie viel zu sehen. Hier in Bloodshed gab es jedoch jede Menge Touristen. Lächelnd beobachtete Jazmin ein Pärchen, das sich in einer Mauernische küsste. Jazmins Lächeln verschwand, als sie beobachtete, wie sich der Mund der Frau zum Hals ihres Partners bewegte. Für einen kurzen Moment sah sie spitze Zähne blitzen.

„Das ist meine Schwester Elizabeth”, sagte jemand hinter ihr. Jaz drehte sich um und blickte in Max‘ blaue Augen. „Ja”, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage, „wir sind Vampire. Lass uns woanders darüber reden.”

Sie gingen zum Strand. Es war ruhig. Um diese Zeit vergnügten sich die Piraten-Touristen in den Diskotheken und Bars. „Ja, wir sind Vampire”, nahm Max das Gespräch wieder auf. „Mein richtiger Name ist Maximilian. Ich bin inzwischen 173 Jahre alt. Meine Schwester ist 2 Jahre älter. Als Vampir wiederum nicht.” Jazmin wusste nicht genau, was sie sagen sollte. Es erschien ihr immer noch unglaublich, dass sie recht haben sollte. „Der Mann …”, begann sie.

„Er lebt”, säuselte Elizabeth von hinten. Jaz fröstelte, als die Lippen der Vampirin ihren Nacken berührten. Sinnliche Frauenhände fuhren unter ihr T-Shirt und zogen es über ihren Kopf. „Wir töten nicht”, erklärte Max. „Du hattest recht.” Elizabeth hatte Jaz und sich selbst entkleidet. Sie führte die junge Frau ins Wasser. Max stand vor Jazmin und sah ihr in die Augen. „Wir trinken einen Schluck Blut von unserer Beute”, fuhr er fort. „Dann heilen wir die Wunden. Ein oder zwei Tropfen Blut reichen dafür. Anschließend lassen wir sie vergessen, was geschah.”

„Wie?”, fragte Jazmin atemlos.

Maximilian lächelte. „Ganz einfach. So wie jetzt bei Dir”, sagte er sanft. Jaz spürte Elizabeth‘ zarte Hände über ihren Körper wandern. Sie fühlte, wie sich weiche Brüste an ihren Rücken schmiegten. Max sah ihr immer noch in die Augen. Mit glasigem Blick griff sie nach der Rasierklinge, die Maximilian ihr mit einem diabolischen Grinsen reichte. Elizabeth holte einen Eimer aus einem nahen Rettungsschwimmerturm und hielt ihn unter Jazmins linkes Handgelenk. Heute Nacht würden sie und ihr Bruder sich satt trinken können.

*


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*


„Jazmin Hart”, las Henry Arsdon. Zumindest hatte die Tote aus dem Wasser jetzt einen Namen. Es war immer traurig, wenn sich ein Mensch das Leben nahm. Noch mehr, wenn es ein so junger Mensch war, gerade erst 22 Jahre alt. Es gab keinen Abschiedsbrief. Aber im Sand am Strand hatte man die Rasierklinge gefunden. Jerry hatte mit den Eltern der jungen Frau telefoniert. Dem Bericht zufolge hatte er erfahren, dass Jazmin Harts ehemaliger Freund sie erst vor wenigen Wochen verlassen hatte. Danach war sie verschwunden, wollte durch die Gegend fahren. Henry wusste jetzt den Grund.


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